"ÄLTER WERDEN" von Silvia Bovenschen
Eine klare Empfehlung!
Älter werde ich von alleine. Daran kann ich nicht wirklich etwas ändern, was soll ich da mit einem Buch zu dem Thema?
Und was es da nicht alles in Zeitungen, Illustrierten, Talk-Shows... zu lesen und zu hören gibt.
Nein, danke!
Doch zwei Punkte sprechen für "Älter werden":
Erstens meine Tochter (sie lieh mir das Buch), zweitens natürlich Silvia Bovenschen, die Autorin.
Kurz vor ihrem Tod sagte sie in in einem TAZ-Interview mit Waltraud Schwab (veröffentlicht am 28.10.2017)
"50 Jahre leben mit MS, zwei Krebserkrankungen und etliche andere üble Diagnosen, da bleibt einem nichts übrig, als sich damit auseinanderzusetzen, dass die Tage immer gezählt sind.
Das ist das einzige, was wir haben, diese Tage. Aber wir wissen nicht, wie viele es sind."
Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung, keine geordnete Sammlung verschiedenster Ansichten, kein Essay über das Altern.
In kurzen Notizen - wie Silvia Bovenschen es selbst nennt - lässt sie Begebenheiten ihres Lebens und Gedanken aufblitzen. Sie lässt uns an sehr persönlichen Erinnerungen, die in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt werden, und individuellen Wahrnehmungen teilhaben.
Die Sammlung beinhaltet unter anderem Gedanken über Verlust, Sex im Alter, Krankheit, Tod -
aber auch Feminismus, Mode, Hunde, Sprachgebrauch, Gedächtnis, Rauchen, Freundschaft...
Manches hat man so oder ähnlich selbst gedacht (meist nicht so gut formuliert);
manches hat man anders erlebt oder bewertet es anders.
Die Sätze sind pointiert, die einzelnen Passagen kurz, manchmal nur wenige Zeilen lang. Kein Wort zu viel.
Silvia Bovenschen ist keine Frau des larmoyanten Klagens, des Selbstmitleids. Sie lässt Nähe zu, schafft aber durch Selbstironie und Humor gleichzeitig eine Distanz, die dem Leser Raum gibt.
Immer wieder muss ich während des Lesens innehalten, Pausen einlegen, über eigene Erlebnisse und Gespräche nachdenken, mich zu dem Geschriebenen positionieren.
Das Buch ist nicht lustig - wie auch - aber gespickt mit lakonischen, trockenen Bemerkungen, die einen schmunzeln lassen.
Beispiel: "Zu den von Wilhelm Reich inspirierten vermeidbaren Irrtümern der siebziger Jahre zählte die Annahme, daß ein Spießer, den man sexuell enthemmt, etwas anderes sein könnte als ein sexuell enthemmter Spießer." (Seite 126)
Silvia Bovenschen wurde 1946 in Oberbayern geboren und wuchs in Frankfurt auf.
Sie studierte Literaturwissenschaften, Soziologie und Philosophie.
1977 promovierte sie mit ihrer sehr bekannt gewordenen Arbeit "Die imaginierte Weiblichkeit".
Am 25. Oktober 2017 ist sie im Alter von 71 Jahren in Berlin gestorben.
"Ich brauche keine Literaturpreise mehr in meinem Leben. Was mich in dieser Welt hält, das ist die Liebe."
(Philosopie Magazin, Ausgabe 4/2017. Silvia Bovenschen in einem Gespräch mit Philipp Felsch)
Zitat "Älter werden" Seite 108:.
" 'Die Zukunft war früher auch besser', sagte Karl Valentin."
Und Schluss!
Silvia Bovenschen
Älter werden
Sachbuch
Taschenbuch
Preis € (D) 11
ISBN: 987-3-596-17532-1
Übrigens:
Im Frühjahr erschien von Silvia Bovenschen posthum der letzte Roman "Lug & Trug & Rat & Streben".
Sie sagte dazu: "Ich liebe mein Buch, aber ich kann es nicht empfehlen."
Das macht neugierig.
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